ich habe das gefühl, dass sie das gefühl haben

Lars Rosenbohm
1. – 17. Oktober 2021

Der Bielefelder Künstler Lars Rosenbohm zeigt unter dem Titel „ich habe das gefühl, dass sie das gefühl haben“ unter anderem aktuelle Arbeiten zwischen Zeichnung und Malerei. Auf roh belassenem Baumwoll­gewebe im größeren Format mit schwarzen Tuschestrichen beginnend, reagiert Rosenbohm meist spontan, dennoch beobachtend auf das Entstandene und entwickelt die ersten Spuren durch das Auftragen dünner Farbschichten zu Bildern, die zur individuellen Annäherung einladen, da sie nie eindeutig sind.

Daniel Neugebauer (HKW – Haus der Kulturen der Welt, Leitung Bereich Kommunikation und Kulturelle Bildung) schreibt über Lars Rosenbohm:

„Jeder Strich sitzt. Wie ein Hieb. Und trifft durch das Auge auf das Nervensystem.
Die Kraft der Kreiden entfaltet sich sofort.
Als Gesichter, Masken, Gegenüber – der/die/das Andere. Diese Zeichnungen halten fest, was zwischen den Momenten geschieht, wenn wir bei Bewusstsein sind. Die Kraft der früheren Werkphasen Rosenbohms, so will ich ausführen, verschwinden in den späteren Phasen beinahe – oder sind zumindest nicht mehr sichtbar, weil sie darin auf- oder unter­gingen. Die Körperlichkeiten auf der Motiv­ebene weben sich in die Körperlichkeit der späteren Leinwände. Es sind Möglichkeiten, so wahr, unwahr oder verwahrlost wie ein Spiegelbild. Die Ambiguität menschlicher Gefühls­apparate souverän wie ein Instrument spielen zu können, ist keine Kleinigkeit. Darauf eine Vielzahl weiterer stets komplexer werdender Werkphasen aufzubauen, beweist Talent. Mehr als genug Gründe für mich, um zwischen Analyse und Assoziation Rosenbohms Werk zu betrachten.
Aber die Worte wackeln. Was in meinen Worten blumig und ästhetisierend klingt, ist in der Praxis Lars Rosenbohms alles Andere als das. Als Person bescheiden, in der Auseinandersetzung mit Bildwirklichkeiten unaufgeregt: Lars Rosenbohm ist eine notwendige Kraft in der (Bielefelder) Kulturszene. Verwurzelt in den Artists Unlimited, der Fachhochschule und den Kunstinstitutionen, ist seine Arbeit Bezugspunkt für Qualität. Solides Handwerk und eine künstlerische Vision, die sich eben nur in der sukzessiven Entfaltung der Werkgruppen zu erkennen gibt. Ein Hase aus Schatten, dem ich mit meinen Worten hinterherjage.
Erst also die Konfrontation mit sich selbst im Gegenüber. Und dann wird der Raum eingenommen. Zeichnungen erklimmen Wände, Leinwände sind als Energiespeicher aufgestapelt. Die Arbeiten können wandern, überdecken, strukturieren, Raum einnehmen. Und auch hier wird die Wildheit immer nur so weit herausgelassen, dass sie kein Statement wird. Dass sie keine langweiligen Flirts mit dem Expressionismus eingeht, dass sie nicht in formalisierender Ästhetik erstarrt. Auch dies benötigt eine Klarheit und Expertise, die der Zufall nicht liefern kann. Jedem wilden Gestus merkt man Zeit und Zuneigung an. Auf diese Art und Weise bleibt die präzise Perfektion irritierend bodenständig – sie weicht dem Prätentiösen aus und bleibt für eine relativ große Gruppe Interessierter lesbar. Hier grunzt kein Malerschwein, hier wird kein Ego geboostet. Und es erschöpft sich nicht in der Zurückweisung überholter Gesten.
Die Worte dafür fehlen leider noch immer.
Ich probiere zu verstehen, warum mich beinahe jede Arbeit von Lars Rosenbohm irgendwie anmacht. Seine Persönlichkeit, die Vertrauen schenkt, nimmt mich problemlos mit zu den Kämpfen mit der Kreide, in die Ekstase, ausgelöst durch Verdünnmittel, das endlos ab- und überdeckt und einem schließlich den Atem nimmt. Ich frage mich, was diese Künstlerpersönlichkeit mit dem Werk zu tun hat. Vielleicht ist es die Großzügigkeit beim Teilen. Oberflächlich ein Werk, eine Malerei, eigentlich aber das Teilen existentialistischer Qualen, die sich laut wuchernd unter den Teppichen, Leinwänden artikulieren, als wäre es das Normalste der Welt. Durchaus skurril, aber nie humoristisch. Diese Aufrichtigkeit finde ich sonst selten, derart klar in den künstlerischen Medien ausbuchstabiert.
Bald wurden die Installationen wieder ordentlich eingelagert. Über Köpfe und Gesichter legten sich neue Masken. Die gespannten Striche verbanden sich zu Netzen, zu Stoffen und Gebinden, die sich um das frühere Werk legten, um ihm die Luft abzudrehen. Aber gerade genug Luft hineinließen, um ein Ersticken zu verhindern. Dem alten Malgestus wird der Saft abgedreht, aber das neue Bild bringt frisches Leben auf die Leinwand. Es sind jetzt Landkarten, Landschaften – ein Angebot zur Orientierung; ein Angebot, sich zu verirren. Nur eine dünne Malschicht ist nötig, um eine Vielzahl Schichten von Geschichte, von aufkratzen und zumalen, zu evozieren.
Rosenbohms letzte und neueste Werkphase ist vielleicht seine reichste. Gleichzeitig ist es die Phase, die sich selbstbewusst erlaubt, das klischeehaft „Originale“ zurückzufahren. Es geht Rosenbohm nicht um endlose Neuerfindung seiner selbst, um am Markt bestehen zu können. In diesen gereiften Arbeiten kann man nicht ohne Grund auch Fingerabdrücke erkennen. Die Arbeiten erzeugen eine Präsenz, die dichter wird, je mehr seiner frühen Phasen im Gedächtnis der Betrachtenden zu finden sind. Striche, Farben, Übermalungen, der Bau des Bildes, alles weckt Erinnerungen an Früheres, löst es aber nie auf. Es entstehen auch fiktive Vergangenheiten, die sich im Bild verheddern und das Bild so nie in der Gegenwart loslassen, sondern etwas Anderes suggerieren: Nicht unbedingt eine Zukunft, vielmehr eine Zone, die entzeitlicht wurde. Die Idee der Linearität von Zeit ist zugemalt und gilt nicht mehr.
Derart erfolgreich in derart unter­schied­lichen Ansätzen arbeiten zu können, macht die gereifte, geschüttelte, vergiftete und vergallte Perfektion im Werk Rosenbohms zu Zeitzeugen. Es wächst und wuchert ein künstlerisches Vokabular, an dem man sich noch eine Weile wird abarbeiten, anstoßen, entzünden lassen müssen. Rosenbohm hat das „Falsche“ in die richtige Bildform gebracht. Als wäre es ganz normal.
Das muss man erst mal aushalten.“

Lars Rosenbohm (*1971 in Lemgo) hat seit 2009 sein Atelier im Künstler*innenhaus Artists Unlimited. Seine Arbeiten waren bisher unter anderem im Marta Herford, der Kunsthalle Bielefeld, dem Kunsthaus Essen, dem Museum Schloss Moyland, dem Saarland Museum, dem Westfälischen Kunstverein, den Kunst­ver­einen in Bielefeld, Oerlinghausen, Lippstadt, Ludwigshafen, Gütersloh und Lemgo zu sehen. Außerdem in Galerien und Projekt­räumen in Berlin, Hamburg, Köln, Düsseldorf, Biel/Bienne, Austin, Barcelona, Gent, Kassel, Wuppertal, Osnabrück und Bielefeld. Lars Rosenbohm ist mit seinen Arbeiten in den Sammlungen des Marta Herford und der Hansestadt Lünen vertreten und hat Stipendien der Kunststiftung NRW, der Aldegrever Gesellschaft Münster, vom Landesverband Westfalen-Lippe und dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW erhalten.

www.larsrosenbohm.de

Soft Opening:
Freitag, 1. Oktober, 19 – 22 Uhr

Öffnungszeiten 2. – 17. Oktober:
samstags und sonntags 14–17 Uhr
Fr 08.10. 19 – 24 Uhr im Rahmen von ARTUR! Bielefelder Galeriehopping
Fr 15.10. 16 – 19 Uhr

Artists Unlimited Galerie
August-Schroeder-Str. 1
33602 Bielefeld